Keine Lust auf Nordic Walking? Kein Wunder. Der August im Garten verströmt eine ganz besondere Magie. Die der Transition, des Wandels. Eine Art Übergang zwischen Hochsommer und dem herannahenden Herbst. Die Tage sind noch immer lang und warm, aber die Nächte werden spürbar kühler. Die Sonne wärmt noch intensiv, doch die ersten Boten des Herbstes lassen uns innehalten und die verbleibende Zeit intensiver schätzen. Gleich wie sie uns in eine Zwickmühle zwischen Aktivität und Ruhe versetzen können. Ein Dilemma.
Inhalt
Die Überwindung der Unlust
Sonntag im Garten.
Und da war er, ein Lazy Sunday Afternoon, wie er gerne besungen wird. Der erste regenfreie und heiße Tag seit Wochen, unbeschwert und hochsommerlich. Wie sich Sommer eben anfühlt. Ein Wochenende vom Feinsten, ein köstlich bummeltauglicher Tag, der sich vor mir ausbreitete und reichlich genussvolles Schmökern versprach. Lese ich doch am liebsten im Garten. Was aber keinesfalls den Rückschluss zulässt, ich sei eine Sommerleserin. Zwar bin ich in der restlichen Jahreszeit gezwungen, die anregende Kulisse für meine Lektüre zu wechseln, aber was wäre schon ewiger Sommer.
Derart begünstigt von Wind und Wetter und Lust und Laune, war ich auf einen faulen Lesetag programmiert.
Das mag nun vielleicht sehr entspannt klingen, ist es aber nicht zwangsläufig. Kommt es nämlich immer dann zu Turbulenzen, wenn plötzlich verschiedene Interessen oder Bedürfnisse an die Oberfläche gespült werden und das Ruder übernehmen wollen. Immer dann um den Sieg rittern, wenn es zu Konflikten zwischen der, wie wir gerne behaupten, wohlverdienten Ruhe und Gemütlichkeit und dem Drang nach Wohlbefinden der bewegteren Art kommt. Wenn es im Kopf zu knirschen beginnt und beide konträren Wünsche die Krise bekommen, da sie sich gleichermaßen vernachlässigt fühlen.
Zwischen Literatur und Fitness: Hobby oder Gesundheit?
Der Sonntag gab sich verheißungsvoll.
Ich lustwandelte mit meinem Buch in Richtung Garten, begann zu lesen und fühlte das angenehme Rascheln der Seiten unter meinen Fingern und lauschte dem hämmernden Klopfen des Spechts im Baum. Ein eifriger Geselle, der Specht, einer, der sich gerne am Altholz guttut und im Gegensatz zu mir, seiner Arbeit nachgeht. Während ich mich an die Ostsee zurückziehen wollte. Literarisch.
Alles perfekt, könnte man meinen.
Doch die Freude währte nicht allzu lange und wie es in solch kostbaren Momenten der Stille oft ist, meldete sich die innere Stimme. Indes das Gehämmer im Baum nahm ich schon bald nicht mehr wahr, gleich wie ploppende Tennisbälle, die rasant übers Netz geklopft werden. Derartige Geräusche haben die Tendenz, irgendwann mit dem Umgebungsrauschen zu verschmelzen.
Stattdessen begann das Gezeter in meinem Kopf. Es meldete sich ein kleiner, innerer Nörgler zu Wort. “Die Nordic Walking Stöcke warten”, flüsterte er. “Deine Beine könnten eine Runde Bewegung vertragen.” Und einige Sticheleien mehr.
Ein leises Unbehagen stellte sich auf der Stelle ein, denn bedauerlicherweise war die Stimme nicht ganz auf dem Holzweg. Der Körper pochte auf sein Recht, auf seine tägliche Bewegungseinheit. Der Geist war gefangen in einem spannenden Krimi, der in Händen klebte und nicht ablassen wollte. Befand ich mich doch mitten auf der Ostseeinsel Fehmarn auf Mörderjagd. Im übrigen ein höchst aufregender Lesegenuss, den ich keinesfalls zu unterbrechen bereit war.
Kann man sich denn nicht einmal einen Tag gönnen, an dem man nur liest?
Der innere Dialog indes kam zur Sache. Die sich der gesunden Bewegung verschriebene Stimme argumentierte, dass der Körper sein tägliches Quantum an Bewegung brauche, besonders nach so vielen Stunden reglosen Liegens und Lesens auf der Sonnenliege. Zudem hätte doch der Sommer seinen Zenit schon überschritten, ginge bald zu Ende und wer weiß, wie viele schöne Tage uns noch blieben? Eine Tatsache, um die ich selbst bestens Bescheid wusste. Bereitete ich mich bereits seit Tagen gedanklich auf den 15. August oder Ferragosto, wie er in Italien heißt, vor. Ein Meilenstein im Gartenjahr und der endgültige Wendepunkt im Sommer, ab dem es täglich bergab gehen würde.
Jeder Tag, schaltete sich die Pro Krimi Stimme ein, sollte entsprechend ausgekostet werden. Meine Worte. Vorzugsweise im Garten, denn dort fühlt sich doch jeder Tag wie Urlaub an. Noch dazu mit Buch, lesend. Eine köstliche Anreicherung des Urlaubsgefühls. Sie gab jedenfalls den Lazy Guy und plädierte für Ruhe, Muße und laissez faire. “Manchmal”, so argumentierte sie, „sollte man sich auch einfach einmal gönnen, nichts zu tun. Sich treiben zu lassen, sich dem Guten Leben hinzugeben, dem Zauber eines guten Buches, dem Duft von frisch gemähtem Gras und einer selbstgemachten Limonade.” Fast ein bisschen kitschig in der Argumentation, aber ich war ganz bei ihr.
„Reiß dich am Riemen, denk daran, wie erfrischt du dich nach jeder Nordic Walking Runde fühlst“ schmetterte ihr das unnachgiebige, da fitnessaffine vis-a-vis entgegen. Der Antagonist, der zur sofortigen Aktivität drängte.
In Balance oder die Kunst, das innere Gleichgewicht zu finden
Der Widerstreit der Gefühle, der in mir aufkeimte und bald schon heftig zu brodeln begann, war nicht bloß ein zufälliges Unbehagen an diesem Sommertag. Es war geradezu ein Sinnbild für die ständige Gratwanderung zwischen Tatendrang und Behaglichkeit, die sich oft in unserem täglichen Leben widerspiegelt.
Diese Balance zu finden, gleicht einer Kunst, die tiefe Selbstkenntnis und Achtsamkeit erfordert. Und hat nicht selten den Abschied von der Bequemlichkeit mit im Gepäck. Was insofern bedenklich ist, da andererseits hyperaktive Geschäftigkeit genauso erdrückend sein wie ein zu viel an Gemütlichkeit.
Das Freizeit Dilemma oder die Qual der Wahl
Inmitten dieser Gedankenspirale war mir schon bewusst, dass die Lösung nicht in einem Extrem liegt. Kann dies durchaus zu einem latent schlechten Gewissen führen.
In etwa vergleichbar mit dem Konzept der Opportunitätskosten aus dem Bereich der Wirtschaftswissenschaften, das sich darauf bezieht, was man verpasst, wenn man sich für eine Sache entscheidet, anstatt für eine andere.
Umgelegt auf meine Qual der Wahl, den Sonntag lustvoll zu verbringen, könnte ich mich fragen, welchen Nutzen ich hätte, würde ich zu meinen Nordic Walking Stöcken greifen und walken, statt auf Mörderjagd zu gehen. Und umgekehrt.
Keine Lust auf Nordic Walking
Das unerquickliche Hin und Her in Gedanken erwies sich am Ende derart ermüdend, dass ich klein beigab und mir, nach wie vor ohne Lust und Laune, doch die Nordic Walking Stöcke gegriffen habe. Mit einer Mikrorunde das Auslangen finden wollte und mich so, mit der mir selbst auferlegten Notwendigkeit auf eine zwangsweise Unterbrechung meiner Lektüre, annähernd zu versöhnen. Selbst wenn ich dabei nur einige wenige Hundert Schritte erwirtschaften würde können, wären es immer noch mehr als Null. Einer der vielen Vorteile dieser Bewegungsart, dass Aufwand und Vorbereitung gegen Null gehen, zumindest im Sommer, denn es bedarf lediglich eines beherzten Griffes zu den Stöcken.
Mein Griff zum Sportgerät war jedoch alles andere als beherzt, eher gelangweilt und lustlos, war ich doch einem gewitzten Mörder, der sein Unwesen auf Fehmarn trieb, auf der Spur. Im Krimi, Sie wissen schon.
Die Überwindung: Nordic Walking ohne Lust
Derart im Abenteuer gefangen hatte ich, gelinde gesagt, absolut keine Lust. Die Lektüre abzubrechen, aufzubrechen und zu walken. Nicht die geringste Lust. Was vorkommen soll.
Da blieb nur eines: Ohne Lust zu gehen. Dafür in der Gewissheit, jederzeit umkehren zu können. Ginge es doch primär darum, in der Bewegung zu bleiben. Der Aspekt der Regelmäßigkeit überwog die sonst anvisierten täglichen 10.000 Schritte. War Morgen ja auch noch ein Tag.
Nachdem es mir ohnedies weder um Hochleistungssport, noch um ein ausgetüfteltes Training für einen Wettbewerb ging, hatte ich immerhin jegliche Freiheit, die paar Schritte zu walken, wie es mir gefiel. Brauchte mir nichts zu beweisen. Mit der kleinen Ausnahme, aufzustehen und wenigstens ein paar Minuten auf Tour zu gehen. Und wer weiß, vielleicht kämen die Beine von selbst in die Gänge.
Dranbleiben und Weitergehen
Alles schien darauf hinauszulaufen, dranzubleiben, Konsequenz an den Tag zu legen und den Körper aus seiner provokant genüsslichen wie gemütlichen Haltung zu befreien. Nicht mehr und nicht weniger. Mich trotz aller Unlustgefühle durch die Tür hinauszuschieben und ein paar lächerliche Schritte zu walken. Selbst 10 Minuten wären schon ein Sieg im Spiel ums Dranbleiben.
Das kann doch nicht so schwer sein, redete ich mir heftig ins Gewissen. Denn, und das ist der Trick, man muss es sich nur oft genug vorsagen.
Kleine Runde Nordic Walking, große Wirkung
Los geht’s!
Schlussendlich habe ich trotz aller Unlust den Einstieg für mich überraschend problemlos geschafft. Es ist anzunehmen, dass es sich dabei wahrscheinlich um einen klassischen Fall von Stallgeruch ab der ersten Minute gehandelt haben dürfte. Dem Drang, schnell nach Hause zurück zu kommen.
Mit großer Vorfreude.
Vor Augen die Abendmahlzeit, die ich mir bereits nach den ersten Schritten in den buntesten Farben ausmalte. Konkret, ein großer Teller Spagetti Nr.7, al dente, mit würziger Tomatensauce, gehobeltem Parmesan und viel frischem Basilikum. Ein Gedicht und zudem auch noch Sportlernahrung, wie ich mir habe sagen lassen.
Mit einem guten Gefühl im Bauch, bald wieder auf dem selbigen zur Ruhe zu kommen und erneut ins Kriminal einzutauchen. In meinem Garten, der mir das kuschelige Sofa gegeben hat, Vorfreude auf Zitronenwasser mit Gurkengeschmack und einen herrlichen Sommerabend.
Und nicht zu vergessen den Moment, an dem ich mir selbst auf die Schulter klopfen würde, um mir zu versichern: Das hast du gut hingekriegt.
Die Extrameile
Am Ende bin ich sie gegangen, die Extrameile, die gar keine Meile sein muss, hatte zu meiner besonderen Freude auch noch die 10.000 Schritte geschafft und meinen Krimi fast ausgelesen.
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